Paraspitzensport – Medizin mit Nebenwirkungen

Umsetzung des Rechts auf Teilhabe verläuft in Deutschland noch immer schleppend

Rostock. Für Athleten wie Extremsportler Stephan Büchler und Leichtathlet Felix Streng scheint – auch dank ihrer Erfolge – Teilhabe selbstverständlich zu sein. Sie erhalten über ihre Sportverbände eine optimale Versorgung durch Ärzte, Therapeuten und Orthopädietechniker. Sponsoren übernehmen in der Regel die hohen Kosten ihrer Sporthilfsmittel. Dadurch können sie ihr Leben selbstbestimmt nach ihren individuellen Vorstellungen gestalten. Er würde sich „eher seine Haare als sein Bein zurückwünschen“, äußerte selbstbewusst Stephan Büchler auf der Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV) unter dem Titel „Parasport, Hilfsmittel, Teilhabe“ am 19. August in Rostock. Doch was für Spitzenathleten gilt, ist keineswegs selbstverständlich für jedermann.

Abschließende Podiumsdiskussion der DGIHV-Fachtagung „Parasport, Hilfsmittel, Teilhabe“ am 19. August in Rostock mit v.l.n.r.: Prof. Anja Hirschmüller, Olaf Gawron, Katy Hoffmeister, Gunar Liebau und Dr. Andreas Lison, Christian Schenk und Prof. Bernhard Greitemann.
Foto: DGIHV / K. Abel

Zur Fachtagung der DGIHV befassten sich rund 60 Experten aus Medizin, Orthopädietechnik, Physiotherapie, Sport und Politik u.a. mit der noch immer schleppenden Umsetzung der Teilhabe. Sport als zentraler Bestandteil der Teilhabe steht eigentlich jedem Menschen mit Behinderung zu. Krankenkassen übernehmen die Kosten allerdings in der Regel nur für Kinder und Jugendliche. Auch Erwachsene haben dieses Recht auf Sport, betonten die Experten. Sport ist Rehabilitation für Menschen mit Behinderung. Für viele Menschen, die ein Bein oder einen Arm verloren haben, geht die Überwindung und Verarbeitung dieses einschneidenden Erlebnisses über Sport. Das zeigen nicht zuletzt internationale Wettbewerbe wie die Invictus Games eindrücklich. Sport ist für viele Athleten geradezu ein Lebenselixier. Für die Teilnahme an den Spielen und im Wettkampf gehen sie hohe Risiken ein. Die betreuenden Ärzte stehen hier in der Verantwortung, darauf hinzuweisen, wenn Athleten an ihre Grenzen stoßen. Sport als Medizin bedeutet auch, so die Experten, mit den Nebenwirkungen gerade im Spitzensport verantwortlich umzugehen.

Kostenträger in der Pflicht

Kostenträger sind gefordert, die Teilhabe zu unterstützen, darin waren sich die Experten mit Katy Hoffmeister, CDU-Abgeordnete des Landtags in Mecklenburg-Vorpommern und Teilnehmerin der Fachtagung, einig. Die ehemalige Justizministerin nutzte die Veranstaltung, um sich vor Ort über den aktuellen Stand der Hilfsmittelversorgung im Parasport zu informieren. Denn: „Parasport ist wichtig für die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Und um diesen zu ermöglichen, sind alle Kostenträger gefordert, das zu unterstützen“, meinte die Gesundheitspolitikerin. „Die bereits geschaffene gesetzliche Grundlage der Teilhabe, die z.B. auch Erwachsenen eine entsprechende Sportversorgung zugesteht, muss umgesetzt werden“, forderte Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Klinikdirektor der Orthopädischen Klinik Universitätsmedizin Rostock, Teamarzt des Karate-Nationalteams und erster Vorsitzender der DGIHV, unter dessen Leitung die Fachtagung stand.

Das Who’s who zu Gast bei der DGIHV-Fachtagung

Aus Forschung und Praxis berichteten gleich drei Vorstandsmitglieder der AG Parasport der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) zur Fachtagung: Prof. Anja Hirschmüller, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und Sportmedizinerin am Altius Swiss Sportmed Center in Rheinfelden, Prof. Bernhard Greitemann, ärztlicher Leiter der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, sowie Dr. Hartmut Stinus, leitender Arzt des Fußzentrums Göttingen und u.a. Teamarzt des Deutschen Paralympischen Ski-Team alpin. Neueste Erkenntnisse aus der Versorgung von Parasportlern stellten zudem Dr. Rolf Kaiser, Landessportarzt des Verbandes für Behinderten- und Rehabilitationssport in Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Andreas Lison, Leiter des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf, und Dr. Christoph Lutter, orthopädischer Chirurg mit Schwerpunkt Sportorthopädie an der Klinik für Orthopädische Chirurgie der Universität Rostock, vor.

Einblicke in die Hilfsmittelversorgung aus der Werkstattpraxis gaben der Orthopädietechnik-Meister und stellv. Vorsitzende der DGIHV, Olaf Gawron, der stellv. Obermeister aus Mecklenburg-Vorpommern der Innung für Orthopädie-Technik Nord, Gunar Liebau, sowie Stephan Büchler, der ebenfalls Orthopädietechniker ist. Für die sportliche Perspektive zur Fachtagung sorgten zudem die Physiotherapeutin und Trainerin Sara Grädtke, der mehrfache Paralympics-Sieger Felix Streng und Christian Schenk, Olympiasieger im Zehnkampf 1988.

Die Fachtagung der DGIHV fand in Zusammenarbeit mit der Universität Rostock und der Universitätsmedizin Rostock statt.