Teilhabe stärken: Parasportler, Orthopädietechniker, Ärzte und Politiker ziehen an einem Strang

Expertentreff traf sich am 19. August in Rostock zum Thema „Parasport, Hilfsmittel und Teilhabe“

Voneinander lernen – unter diesem Motto stand die Fachtagung „Parasport, Teilhabe, Hilfsmittel“ der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung (DGIHV) am 19. August in Rostock. Rund 60 Experten aus Medizin, Orthopädie-Technik, Parasport und Politik trafen sich in der Aula der Universität Rostock zum Austausch. Ihr gemeinsames Ziel: Die Teilhabe von Menschen stärken, die auf Hilfsmittel wie Prothesen, Rollstühle oder Orthesen angewiesen sind. Die Fachtagung unter Leitung von Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Vorstandsvorsitzender der DGIHV, fand in Kooperation mit der Universität Rostock und der Universitätsmedizin Rostock statt.

Abschließende Podiumsdiskussion der DGIHV-Fachtagung „Parasport, Hilfsmittel, Teilhabe“ am 19. August in Rostock mit v.l.n.r.: Prof. Wolfram Mittelmeier, Prof. Anja Hirschmüller, Olaf Gawron, Katy Hoffmeister, Gunar Liebau und Dr. Andreas Lison.
Foto: DGIHV / K. Abel

Teilhabe zu fördern, nannten alle an der Tagung beteiligten Vertreter der Landespolitik als wichtiges Ziel. „Der Sport und insbesondere der Spitzensport zeigen uns, zu welchen Höchstleistungen auch Menschen mit Behinderungen fähig sind“, sagte Stefanie Drese, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern, in ihrem Grußwort zu Beginn der Fachtagung. „Damit in Deutschland auch weiterhin Parasport auf diesem Spitzenniveau möglich ist, braucht es Spitzenversorgung.“ Der Austausch der Experten komme auch dem Versorgungsalltag in Kliniken, Praxen und Sanitätshäusern zugute. „Über allem steht das gemeinsame Ziel einer inklusiven Gesellschaft mit einer besseren Teilhabe näher zu kommen. Dafür danke ich Ihnen ausdrücklich!“, so Stefanie Drese.

Auch Harry Glawe (CDU), seit 1994 Mitglied des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, beteiligte sich mit einem Grußwort an der Tagung. Er betonte die Bedeutung der Hilfsmittelversorgung für die Teilhabe insgesamt am Leben in der Gesellschaft, wies aber auch auf die Finanzierbarkeit hin. Gerne nehme er im Anschluss an die DGIHV-Fachtagung Wünsche der Experten an die Politik zum Thema Teilhabe entgegen. Abschließend forderte er das Plenum auf: „Bringen Sie die Sache insgesamt voran!“

Die Abgeordnete des Landtags und ehemalige Justizministerin, Katy Hoffmeister (CDU), nutzte die Veranstaltung, um sich vor Ort über den aktuellen Stand der Hilfsmittelversorgung im Parasport zu informieren. Denn: „Parasport ist wichtig für die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Und um diesen zu ermöglichen, sind alle Kostenträger gefordert, das zu unterstützen“, meinte die Gesundheitspolitikerin.

Gemeinsam erfolgreich

Eine erfolgreiche Hilfsmittelversorgung ermögliche Menschen im Alltag und beim Sport ein selbstbestimmtes Leben und damit Teilhabe, meinte Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Facharzt für Orthopädie & Unfallchirurgie, spezielle Orthopädische Chirurgie, Kinderorthopädie und Klinikdirektor der Orthopädischen Klinik Universitätsmedizin Rostock, Teamarzt Karate-Nationalteam. „Erfolgreich kann eine Versorgung aber nur im engen Zusammenspiel von Patienten, Ärzten und Orthopädietechnikern sowie mit Rückendeckung der Gesundheitspolitik sein“, so Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier. „Parasportler wie der Extremsportler Stephan Büchler oder der Leichtathlet Felix Streng stehen mit ihren außergewöhnlichen Leistungen beispielhaft für eine Spitzenversorgung. Zur Tagung konnten wir unter anderem aus den Erfahrungen dieser Beispiele und von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Lehren für die Alltagsversorgung unserer Patienten in der Klinik und dem Sanitätshaus um die Ecke ziehen, und damit die Teilhabe in der Breite stärken.“

Felix Streng, live dazu geschaltet, wünschte sich in seinem Beitrag eine höhere Priorisierung der Versorgung von Sportlern. Zum einen brauche es eine lange Testphase in enger Abstimmung zwischen Sportlern und Orthopädietechnikern, um Sportprothesen optimal auf den Athleten einzustellen. Denn Fehleinstellungen könnten zu enormen Folgeschäden führen, warnte der Spitzensportler. Zum anderen erfolge der Großteil des Trainings mit Alltagsprothesen. Die Belastung im Trainingsalltag und der Verschleiß seiner Hilfsmittel dabei sorge immer wieder zu Diskussionen mit den Kostenträgern. „Wir müssen uns im Parasport Gedanken machen, wie die Situation für die Nachwuchssportler neu strukturiert werden kann.“

Gerade das Verhältnis von Teilhabe und technisch wirtschaftlicher Versorgung wurde auch in der anschließenden Diskussionsrunde als ein „Knackpunkt“ einhellig beschrieben. Hier müsse auch die bereits geschaffene gesetzliche Grundlage der Teilhabe, die z.B. auch Erwachsenen eine entsprechende Sportversorgung zugesteht, endlich durch die Kostenträger umgesetzt werden. Gemessen an den Richtlinien der UN-Behindertenrechtskonvention stehe dem Deutschen Gesundheitswesen noch eine Mammutaufgabe bevor, wie die Experten betonten.

Stephan Büchler setzte in seinem Vortrag vor allem auf die Eigeninitiative der Amputierten. Er wolle anderen Menschen mit Amputationen Mut zur Selbsthilfe machen: „Jeden Tag können amputierte Menschen Selbstvorsorge ausüben, indem sie Stumpf-, Haut- und Wundpflege oder Kontrakturprophylaxe betreiben sowie Kompressionsversorgung für den Stumpf nutzen und auf die Hygiene achten.“

Aus Erfahrung und Wissenschaft lernen

Aus Forschung und Praxis berichteten gleich drei Vorstandsmitglieder der AG Parasport der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) zur Fachtagung: Prof. Anja Hirschmüller, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und Sportmedizinerin am Altius Swiss Sportmed Center in Rheinfelden, Prof. Bernhard Greitemann, ärztlicher Leiter der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, sowie Dr. Hartmut Stinus, leitender Arzt des Fußzentrums Göttingen und u.a. Teamarzt des Deutschen Paralympischen Ski-Team alpin. Neueste Erkenntnisse aus der Versorgung von Parasportlern stellten zudem Dr. Rolf Kaiser, Landessportarzt des Verbandes für Behinderten- und Rehabilitationssport in Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Andreas Lison, Leiter des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf, und Dr. Christoph Lutter, orthopädischer Chirurg mit Schwerpunkt Sportorthopädie an der Klinik für Orthopädische Chirurgie der Universität Rostock, vor.

Einblicke in die Hilfsmittelversorgung aus der Werkstattpraxis gaben der Orthopädietechnik-Meister und stellv. Vorsitzende der DGIHV, Olaf Gawron, der stellv. Obermeister aus Mecklenburg-Vorpommern der Innung für Orthopädie-Technik Nord, Gunar Liebau, sowie Stephan Büchler, der neben seinen sportlichen Höchstleistungen ebenfalls Orthopädietechniker ist. Für die sportliche Perspektive zur Fachtagung sorgten zudem die Physiotherapeutin, Trainerin und Klassifiziererin Sara Grädtke, der Extremsportler Stephan Büchler, der mehrfache Paralympics-Sieger Felix Streng und Christian Schenk, Olympiasieger im Zehnkampf 1988.